Die Fotostrecke

Die Gesamtanlage wurde in den Jahren 1939 bis 1943 erbaut und sollte eigentlich der Nitrozellulose Herstellung dienen – kurz gesagt Sprengstoff. Da die Anlage nie in Serienbetrieb ging, wurde sie glücklicherweise nicht zerstört, sondern ausschließlich zurückgebaut, so dass heute keine technischen Einbauten mehr vorhanden sind.

 

Dieser Umstand hat die Neugier geweckt anhand der aufgenommenen Bilder diese Prozesse neu zu entdecken und die Gestaltungsideen der Ingenieure dieser Zeit nach zu vollziehen. Fernab des originären Verwendungszwecks ersteht durchaus so etwas wie Bewunderung für das, was vor mehr als 75 Jahren technisch möglich war und teils bis heute unverändert in der Industrie angewendet wird.

 

Die Gestaltungsprämissen Ausfallsicherheit und Umweltintegration manifestieren sich im Redundanzkonzept ebenso wie in weiteren technischen Lösungen für Rauchgasabkühlung und –reinigung oder auch das System von Rettungswegen, was wir heute sicher als Arbeitsschutz interpretieren würden.

 

 

 Im Grunde waren zwei getrennt zu nennende Einrichtungen vorhanden, die Gebäude, die Installationen zur Energieerzeugung beherbergten, und solche die der eigentlichen chemischen Produktion zuzuordnen sind.

 

Entsprechend der Zweckbestimmung der Gebäude entwickelte sich eine entsprechende Bauweise und Architektur.

 


Die Energieerzeugung

Die benötigte elektrische Energie wurde aus Kohle gewonnen. Dazu gab es umfangreiche Einrichtungen für die Kohleversorgung, Wasseraufbereitung, Dampferzeugung , Rauchgasreinigung und das Turbinenhaus, sowie das Schalthaus als Verteilerzentrale für die nahegelegenen Großverbraucher.

904 Kohleversorgung

Dem Prinzip der Ausfallsicherheit folgend wurden redundante Einrichtungen vorgesehen, so fand man im Kesselhaus zwei Dampfkessel mit eigener Rauchgasreinigung vor. Dieses Prinzip ermöglichte zum einen den unabhängigen Betrieb und andererseits ggf. auch eine Leistungssteigerung falls erforderlich. Lediglich die Kohleversorgung wurde aus dem zum Kesselhaus gehörigen Kohlebunker zentral sichergestellt. Der Kohlenbunker wurde über ein eigenes Bahngleis mit Kohle befüllt, von wo aus eine im Untergeschoss verlaufende Lorenbahn für den im Gebäude verlaufenden Transport sorgte. Der Kohlebunker und das Kesselhaus stellen ein integriertes Gebäude mit Außenanlage, Untergeschoss und mehrgeschossiger Kraftwerkshalle dar, in dem die Lorenbahn mittels einer Elektrowinde über eine schiefe Ebene bis ins Oberschoss des Kesselhauses hinaufgezogen wurde bevor sie sich in den doppelläufigen Kohletrichter entleerte. Von außen ist diese Gebäudestruktur aus Gründen der Tarnung geschickt durch eine treppenförmige und begrünte Dachkonstruktion, die verschieden Höhenniveaus erzeugt, kaschiert.

 

Kohlebunker - Gebäude 904
Kohlebunker - Gebäude 904

526 Kesselwasserversorgung

 

Die Kesselwasserversorgung sorgt neben der Kohlebereitstellung für das erforderliche aufbereitete Wasser zur Dampferzeugung. Diese Wasseraufbereitung dient der Reinigung der Kreislaufwassers, das heißt Befreiung von enthaltenen Feststoffen, Entgasung und weitestgehend Neutralisation, um so Ablagerungen im Dampfsystem und damit Korrosion zu vermeiden, was den Wirkungsgrad des Dampfsystems erhöht und Wartungstätigkeiten reduziert.

 

Kesselwasseraufbereitung- Gebäude 526
Kesselwasseraufbereitung- Gebäude 526

501 Kesselhaus

 Die Luftversorgung des Kesselhauses war vermutlich aktiv, so dass im Kesselhaus ein leichter Überdruck entstand. Zum einen wurde der erforderliche Sauerstoff für den Verbrennungsprozess herangeführt, und andererseits über ein in den Wänden integriertes Luftverteilungssystem ein Raumklima für die Bedienungsmannschaft hergestellt. Die Frischluft wurde über zwei Kamine vom oberen Dach eingesogen, während die Abluft wahrscheinlich durch ins Dach integrierte Auslässe einfach hinausgedrückt wurde.

Die Rauchgasabführung erfolgte über einen ebenerdig verlaufenden ca. 33 Meter langen fünflagig gemauerten Backsteintunnel mit leichtem Gefälle zum Kesselhaus und endete in der Rauchgasreinigung, der so genannten Staubkammer. Je Kessel gab es eine Staubkammer.

 

Kesselhaus- Gebäude 501
Kesselhaus- Gebäude 501

501a Staubkammer

 Die Staubkammer ist ein vom Kesselhaus abgesetztes Gebäude, welches auf einer Tischkonstruktion aus Stahlbeton errichtet wurde. Der Aufbau war in mehrwandiger Ziegelbauweise mit Stahlkorsett realisiert und enthielt eine Zwischenisolation zur Wärmedämmung, was vermutlich der Tarnung diente, um den winterlichen Schnee nicht zum Tauen zu bringen.

 

Unter heutigem Blickwinkel diente die Staubkammer dem Umweltschutz, denn hier wurde das Rauchgas gereinigt, das heißt, die enthaltenen Staubpartikel wurden in diesem Nassfilter in gestaffelten Wasservorhängen ausgewaschen.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde dem Wasser aber auch Kalk zugesetzt, um den im Rauchgas enthaltenen Schwefel zu neutralisieren, bevor dieses Asche-Wasser-Gemisch an die nahe Entaschungsanlage übergeben wurde. All diese Bemühungen der Isolation und Reinigung dienten damals sicher der Aufrechterhaltung der Tarnung, Respekt verdient dennoch die Realisierung dieser umweltfreundlichen Technik mit den damaligen Mitteln. 

Von alleine wäre das Rauchgas sicher nicht durch die Reinigungsanlage hindurchgeströmt, so hat man am kalten Ende – also am Abgang des gereinigten Abgases einen Lüfter installiert, der das Rauchgas durch diese Prozesskette hindurchgezogen haben muss, bevor das gereinigte und heruntergekühlte Abgas über einen teleskopartigen Schornstein freigesetzt werden konnte.

 

Staubkammer- Gebäude 501a
Staubkammer- Gebäude 501a

502 Maschinenhaus

Der erzeugte Wasserdampf wurde oberirdisch ins Maschinenhaus geleitet und trieb dort eine Dampfturbine an, die ihrerseits an mindestens 2 Elektrogeneratoren gekoppelt war. Die Elektroleitungen, die Maschinenhaus und Schalthaus miteinander verbanden, waren aus mehradrigen Aluminiumkabeln gefertigt, was sicher der Knappheit an Kupfer geschuldet war. Dieser Umstand führt zu der Vermutung, dass die gesamte Anlage mit Gleichstrom versorgt wurde, da so die Leitungsverluste von Wechselstrom vermieden werden konnten, die sonst bei Aluminiumkabeln aufgrund der geringeren Leitfähigkeit verglichen mit Kupfer sehr ins Gewicht gefallen wären.

Maschinenhaus- Gebäude 502
Maschinenhaus- Gebäude 502

503 Schalthaus

504 Entaschung


Der Chemische Produktionsprozess

 Nitrozellulose als Allgemeinbezeichnung bedeutet nicht zwangsläufig Sprengstoff, denn aus dem Grundstoff können verschiedene Produkte hergestellt werden, wie zum Beispiel Zelluloid, was in den 60ziger Jahren als Filmmaterial diente oder auch heute noch für Tischtennisbälle verwendet wird. Die Materialeigenschaften variieren mit der Zusammensetzung, doch grundsätzlich ist Nitrozellulose selbstentzündlich und brennt rauchfrei ab, und das selbst unter Sauerstoffabschluss, was das Löschen mit Wasser schwierig gestaltet.

 

Auch die chemische Produktionsstraße gab es, dem Redundanzkonzept folgend, zweimal. Sie bestand aus den Lagerhallen für Zellulose und Säuren, der Vorbereitung der Prozessmaterialien und dem mehrschrittigen Herstellprozess beginnend mit der Nitrieranlage, dem Kocher, dem Druckkocher, dem Holländer bis hin zum Mischer und Stofffänger, wo sich das Endprodukt sammelte.

 

Wie kritisch und teilweise unbeherrscht die Einzelprozesse waren, lässt sich an den Sicherheitsmerkmalen der Gebäude vor allem in der Nitrieranlage und dem Druckkocher erahnen.

201, 204 Lagerhallen

217 Nitrieranlage

In der Bauweise der Nitrieranlage finden wir beidseitig, längsverlaufende Rettungsbalkone mit Außentreppen, sowie stirnseitig geschützte Treppenhäuser, die von den Produktionsgeschossen abgeschottet sind. 

Hier wurde die Zellulose erstmals mit der Mischsäure in Kontakt gebracht, die über oberirdische - auf Stützen gelagerte - Rohrleitungen heran geführt und vermutlich in großen Außentanks zwischengespeichert wurde, um immer eine ausreichende Menge für den laufenden Prozess zur Verfügung zu haben. Die Außentanks reichten von einem ebenerdigen Sockel bis ins 2te Obergeschoß des Gebäudes.

Zur Einstellung der gewünschten Säurekonzentration wurde das Zwischenprodukt immer wieder mit Wasser ausgewaschen. So erklären sich dann auch die gefliesten Abwasserkanäle, da das Abwasser scheinbar nicht neutralisiert wurde.

Nitrieranlage- Gebäude 217
Nitrieranlage- Gebäude 217

221 Kocher

229 Druckkocher

Weiter führt der Prozess über den Kocher in den Druckkocher. Der Druckkocher war einer von mehreren Prozessschritten zur Nitrierung und Einstellung des gewünschten Mischungsverhältnisses und einer einheitlichen Konsistenz. Man kann sich diese aus 4 Kochern bestehende Anlage, wie die Ansammlung von vier Druckkochtöpfen in industriellem Maßstab vorstellen, die unter Überdruck das Zwischenprodukt verkochten.

 

 

 

Druckkocher- Gebäude 229
Druckkocher- Gebäude 229

Dieser Prozessschritt gehörte zu den kritischsten und unbeherrschtesten Vorhaben, die sich im gegebenen Fall auch durch Explosion oder Brand entluden. Die Gefährlichkeit des Prozesses spiegelt sich selbst in der Gebäudearchitektur wieder, die an beiden Stirnseiten der 1 ½ geschossigen Halle, Innen- und Außentreppen vom Keller bis ins Obergeschoß vorsah. Diese Fluchtwege waren auf jeder Ebene durch Türen verbunden, um ein schnelles Verlassen zu ermöglichen. Das Gebäude an sich war in massiver Stahlbetonbauweise realisiert und ruhte auf einem pyramidenähnlichen Fundament, das wie ein Anker mit niedrigem Schwerpunkt das Gebäude stabilisierte. Diese Fundamentkonstruktion möchte man fast als erdbebentauglich bezeichnen, da das Gebäude auf dem darunterliegenden Kiesbett quasi schwamm und sich dank der Lotwirkung des Fundaments immer wieder ausnivellierte. Das gesamte Gebäude stand etwas erhöht (Kellerboden etwa auf Geländeniveau), wie auf einer Warft, was vermutlich die Wirkung einer explosionsbedingten Druckwelle mindern sollte. Angrenzende Gebäude standen im rechten Winkel zum Druckkocher, um so im Explosionsfall eine geringe Angriffsfläche zu bieten.

238 Holländer und Stabilisatoren

Stabilisierung (der Selbstzersetzung vorbeugen) war immer wieder erforderlich, da das Zwischenprodukt nicht vollkommen homogen war und Verunreinigungen und Wassereinschlüsse aufwies. Wegen der Verwendung von Zellulose geringer Qualität sorgte man mit dem Holländer für die Zerkleinerung der nitrierten Zellulosefasern und erreichte so eine nahezu einheitliche Faserlänge, was der Homogenität und der Reproduzierbarkeit der Stoffeigenschaften diente und das Produkt stabilisierte.


244 Stofffänger

Der Stofffänger sammelte vermutlich das gemischte Endprodukt und diente aller Wahrscheinlichkeit nach der Abscheidung von nicht gebundenem Wasser und der Erhaltung einer gleichbleibenden Zusammensetzung, um einer frühzeitigen Zersetzung und einer damit einhergehenden Selbstentzündung vorzubeugen. Der Stofffänger war über ein Rohrleitungssystem direkt mit dem Mischer verbunden.

 

Das Endprodukt wurde in der Regel in Pappfässer für den Transport abgepackt.

 

Mischer mit Stofffänger Turm
Mischer mit Stofffänger Turm

249 Mischer

Der Mischer dient dem Ausgleich von Prozessschwankungen indem hier verschiedene Produktionschargen durchmischt werden sollten, um die Variation des Endprodukts bezüglich seiner Eigenschaften zu verringern und damit eine hohe Homogenität sicherzustellen. Der Mischer besteht aus drei betonierten, offenen, innen gefliesten Trögen, die sich über die gesamte Gebäudehöhe (2 ½ Geschoßebenen) erstrecken, und mit einem kopfseitigen Rührwerk ausgerüstet waren. Einer überdimensionierten Waschmaschine gleich, wurde hier das Endprodukt gemischt. Die Auskleidung mit Fliesen diente sicher der Erhöhung der Widerstandsfähigkeit gegen die im Produkt enthaltene Säure, und schützte so die Betonwanne.

Mischer- Gebäude 249
Mischer- Gebäude 249

601, 602, 603 Aufenthaltsgebäude

Abwasserkanäle

Planung und Bauweise

Da die Anlage im Landsberger Frauenwald nur eine von mehreren gleichartigen Anlagen war, hat man offenbar eine großräumigere Planung verfolgt, und Standardbauteile wie Stahlbetonstützen und andere Elemente quasi normativ für die Wiederverwendung vordefiniert. Es scheint als sei die Industriebautechnik in dieser Zeit entstanden, denn die selbsttragende Ständerbauweise in Abschnitten wird genauso noch heute angewendet und ermöglicht eine kurze Erstellungszeit. 

In Abhängigkeit des Gebäudezwecks wurde der Bau entweder in Vollbeton oder Mischbauweise mit rotem Ziegel realisiert. Gebäude wie Kesselhaus, Maschinenhaus oder auch das Schalthaus sind in massiver Stahlbetonbauweise erstellt, während die Staubkammer ein typischer Repräsentant der Ziegel – Beton – Mischbauweise ist.

Selbst die Orientierung wurde durch ein standortübergreifendes, dreistelliges Hausnummernsystem erleichtert, so dass beispielsweise Gebäude der Energieerzeugung mit einer führenden „5“ begannen (z.B. Kesselhaus - 501) und Gebäude des Fertigungsprozesses mit „2“. Auch die Sozialbauten, wie die Pausenhäuser (Körperpflege und Essen nahe dem Arbeitsplatz), trugen Nummern wie 601, 602 oder 603.